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EqualStreetNames Wiesbaden

Ausschnitt der EqualStreetNames Wiesbaden-Karte

Im Mai bin ich zum ersten Mal auf das Projekt EqualStreetNames aufmerksam geworden, das in der OpenStreetMap Wochennotiz vorgestellt wurde.

EqualStreetNames will mit Hilfe öffentlich zugänglicher Daten die Gender-Ungleichheit bei der Vergabe von Straßennamen aufzeigen:

The names of public spaces (streets, avenues, squares and others) define the identity of a city and how citizens interact with it. The region of Brussels suffers from a major inequality between male and female street names and we want to help fix this.

There are several ways to approach the inequality of street names and leverage a positive change in our society. Ours is with the use of Open Data to create a map visualizing the streetnames of a city by gender.

The project start with Brussels, Belgium in March 2020 and since then, this project has been replicated in several cities across multiple countries.

tl;dr

  • Auf der interaktiven Karte unter wiesbaden.equalstreetnames.eu kann für viele Wiesbadener Straßen nachgsehen, wer Namensgeber*in ist;
  • eine Statistik gibt auch das Verhältnis von männlichen zu weiblichen Personen an;
  • Immer mehr Städte machen bei diesem Projekt mit, das ursprünglich aus Brüssel stammt;
  • Ich beschreibe mein Vorgehen bei Recherche, Datensammlung, Mapping in OSM und Generierung der Karte.

Wiesbaden

Daraufhin habe ich mir die Datenlage für Wiesbaden angesehen und schnell festgestellt, dass es kaum öffentliche Daten (Open Data, maschinenlesbar) gibt, die für diesen Zweck genutzt werden können. Für einige Straßen hier im sogenannten Feldherrenviertel habe ich dann den entsprechenden Link zu Wikidata in OpenStreetMap eingetragen. Für ganz Wiesbaden wäre das aber ein ziemlicher Aufwand gewesen, und ein strukturierteres Vorgehen war gefragt. Deshalb wanderte das Projekt auf den hohen Stapel der "Wenn-ich-viel-Zeit-habe"-Todos.

Femorial

Ende November las ich in den Nachrichten von der Aktion Femorial des Frauenmuseums Wiesbaden:

[…] handelt es sich bei der Straßenbenennung um historische Personen, dann sind es ganz überwiegend männliche. Und Denkmäler sind ausschließlich Männern gewidmet.

Femorial adressiert dieses Missverhältnis und will die beeindruckende Lebensleistung von Frauen im öffentlichen Raum abbilden. Femorial ist ein Neologismus und verbindet „feminism“ mit „Memorial“. Femorial entstand nachdem ein 8-jähriges Mädchen während eines Rundgangs durch die Innenstadt fragte: Verehren wir nur Männer in unserer Stadt?

Und nun wurde in der Wiesbadener Innenstadt kurzerhand – über Nacht sozusagen- eine Umbenennung durchgeführt. Symbolisch prangen unter den offiziellen Schildern in kirschrot Frauennamen, die neugierig machen und verdeutlichen: Es könnte auch ganz anders sein!

Natürlich erinnerte ich mich jetzt wieder an das aufgeschobene, aber nicht aufgehobene Projekt, denn die Visualisierung vor Ort ist eine Sache - aber eine aktuelle Visualisierung im Internet würde diese Aktion sinnvoll ergänzen. Also los geht's!

Straßenliste

Eine brauchbare Liste der Wiesbadener Straßen zu bekommen, ist nicht so einfach, wie es sich zunächst anhört. Das Geoportal Wiesbaden bietet zwar unter dem Titel OpenWIMap Stadtpläne und thematische Karten sowie spezielle Kartenebenen an, aber eine aktuelle Straßenliste zum Download habe ich nicht gefunden.

Im OpenStreetMap-Ökosystem existiert die hilfreiche Straßenlistenauswertung auf regio-osm.de, die auch zeigt, welche Straßen in OpenStreetMap noch fehlen. Offenbar basiert dieser Abgleich auf der Straßenreinigungssatzung (PDF), die sogar einen 44-seitigen Anhang mit Straßennamen enthält. Andererseits sind Straßen, die in OpenStreetMap gar nicht existieren, für dieses Projekt unbrauchbar, da sie auf der zu erstellenden Karte gar nicht angezeigt werden.

Zum Glück ist es möglich, mittels einer Overpass API-Abfrage die entsprechenden Daten maßgeschneidert aus der OSM herunterzuladen, in diesem Fall im CSV-Format:

@type,@id,name,name:etymology:wikidata
[…]
way,813241183,Aschenbrödelweg,
way,814289178,Alcide-de-Gasperi-Straße,
way,814589697,Bülowstraße,Q63023
way,817489768,Schiffergasse,
way,817489771,Dachsbergstraße,
way,817489772,Freudenbergstraße,
way,818398157,Elbestraße,
way,818403892,Kirschblütenstraße,
way,818408652,Klingholzstraße,
way,818408653,Biebricher Allee,
way,818408654,Biebricher Allee,
[…]

So liegen alle Wege und Relationen mit Namen und eventuell bereits vorhandenem name:etymology:wikidata-Wert aus OSM vor und können z. B. in LibreOffice Calc importiert werden. Dort lassen sich die Daten dann bequem alphabetisch sortieren und Namensduplikate der Einfachheit ausfiltern.

Im Anschluss habe ich die Tabelle noch um einige Spalten ergänzt: gender, name, description, comment. Denn nicht für alle Namensgeber*innen ist ein Wikidata-Eintrag vorhanden, sodass ich deren Gender, Namen und eine Beschreibung manuell eingetragen habe. Am Ende wurden diese zusätzlichen Daten in einer weiteren CSV-Datei zusammengefasst und ins Projekt-Repository eingecheckt. Dazu später mehr.

Quellen

Nachdem nun die Straßenliste vorlag, ging es an die Aufgabe, die Namensgeber*innen zu recherchieren. Zu diesem Zweck habe ich mehrere Quellen herangezogen:

  • "Nach Persönlichkeiten benannte Straßen". Personal- und Organisationsamt Wiesbaden. 2018 [Download]
  • Reiß, Thorsten: Wiesbadens Straßennamen. Innenstadt und Klarenthal. Herkunft und Bedeutung. Thorsten Reiß Verlag, 1996.
  • Glöckler, Peter-Michael: Wiesbadener Straßennamen. Biebrich. Thorsten Reiß Verlag, 2012.

Die beiden Bücher waren glücklicherweise in der Wiesbadener Stadtbibliothek (Mauritius-Mediathek) verfügbar und eine große Hilfe für Straßen in der Innenstadt und in Biebrich. Das PDF des Personal- und Organisationsamts enthält sogar noch mehr und aktuellere Daten für ganz Wiesbaden, ist aber insgesamt knapper gehalten. Ein Großteil der relevanten Straßen war so abgedeckt.

Wie sich herausstellte, war es sinnvoll, alle bis auf die offensichtlichsten Straßennamen auf eine Person als Namensgeber*in zu prüfen. Denn manchmal ist nicht auf den ersten Blick klar, ob etwa ein Ort oder eine Person dahintersteckt. Beispielsweise ist die Büdingenstraße nicht nach der hessischen Stadt, sondern nach einem ehemaligen Wiesbadener Stadtrat benannt (der aber wiederum keinen Wikidata-Eintrag hat).

Insgesamt hat diese Recherche einen großen Teil der Projektzeit eingenommen, führte aber zu einem mehr als akzeptablen Ergebnis. Dieses galt es nun noch in die OpenStreetMap zu überführen.

OpenStreetMap

Mein bevorzugter OpenStreetMap-Editor ist JOSM, der vielleicht nicht so schick aussieht, aber dafür mächtig und durch Plugins erweiterbar ist.

Eine brauchbare, grundlegende Anleitung zur Bedienung von JOSM findet sich auf learnOSM, wenn auch englischsprachig.

Daten herunterladen und editieren

Um die erforderlichen Daten selektiv vom Overpass API herunterzuladen und in JOSM editieren zu können, habe ich mich des Sparse Editing bedient. Ich habe also nur die nötigen Daten - also genau die Straßen Wiesbadens - zur Bearbeitung heruntergeladen, ansonsten wäre die resultierende Datenmenge auch viel zu groß geworden.

Ist der Expertenmodus von JSOM aktiv (lässt sich in den Einstellungen einschalten), können Daten wieder mittels eine Overpass-Abfrage heruntergeladen werden:

[out:xml][timeout:2500];
{{geocodeArea:Wiesbaden}}->.searchArea;
(
  way["highway"]["name"](area.searchArea);>;
  relation["highway"]["name"](area.searchArea);>;
);
out meta;

So sah das dann in JOSM aus:

Darstellung der Wiesbadener Straßen in JOSM

Dieser Datensatz ließ sich in JOSM (STRG + F) nach einer bestimmten Straße durchsuchen, z. B. type:way and Rheinstraße; zu den so ausgewählten Wegen konnten jetzt der name:etymology:wikidata Schlüssel und der zugehörige Wikidata-Wert ("Q....") eingetragen werden. Zuvor galt es aber immer zu kontrollieren, ob auch die richtigen Wege ausgewählt waren und ob der Schlüssel nicht schon vorhanden war. Sucht man zu ungenau, werden unter Umständen mehrere unterschiedliche Straßennamen mit gleichen Bestandteilen gefunden, was es zu vermeiden galt.

Das Eintragen der Werte in JOSM war eine sehr repetitive Tätigkeit. Bestimmt hätte es hier auch andere Möglichkeiten zu mappen gegeben - bis hin zum direkten Editieren der XML-Daten aus OSM. Allerdings bringt JOSM mächtige Werkzeuge etwa zum Prüfen der Einträge mit, auf die ich ungern verzichtet hätte.

Konflikte

Wer die zu bearbeitenden Daten nicht regelmäßig vom OSM-Server aktualisiert, erhält beim Upload-Versuch eventuell eine Konflikt-Meldung: Die Attribute einer Straße wurden mittlerweile von anderen Mapper*innen geändert, daher ist die lokale Version veraltet. In JOSM lassen sich solche Konflikte in der Regel einfach beheben. Das hat hier gut funktioniert.

Zusätzliche Daten

Wie oben schon erwähnt, haben nicht alle Namespatron*innen einen Wikipedia- bzw. Wikidata-Eintrag. Damit diese später dennoch auf der fertigen Karte erscheinen würden, mussten sie in einer zusätzlichen Datei data.csv erfasst werden. Neben dem Straßennamen waren hier u.a. auch die OpenStreetMap-ID sowie Gender, Name und Beschreibung der namensgebenden Person anzugeben. Beim Erstellen des finales Datensatzes für die Karte werden dann diese Daten mit den Daten aus der OSM-Datenbank zusammengefasst.

Finale

Sind die Daten alle in die OSM-Datenbank hochgeladen und in die CSV-Datei geschrieben, können die Skripte zur Datenaggregierung und schließlich zur Darstellung der Karte gestartet werden. Das habe ich zunächst lokal auf meinem Computer gemacht, später dann auf einem Server (bzw. Digitalocean-Droplet). Damit hatte ich bereits eine öffentliche Vorschau der Karte, die ich auch schon als Teaser auf Twitter gepostet hatte. Auch, um auf immer noch fehlende Straßennamen hinweisen zu können.

Um offiziell Teil von equalstreetnames.org werden zu können, muss ein eigenes Projekt auf Basis dieses Templates erstellt werden; das README erklärt die einzelnen Schritte detailliert.

Konfigurationen und Skripte für das Projekt habe ich zunächst in einem persönlichen Repository auf GitHub verwaltet, gegen Ende habe ich dann beantragt, Wiesbaden als Submodul zum EqualStreetNames-Projekt hinzuzufügen. Dies wurde auch schnell bewilligt, und einige Zeit später wurde auch die offizielle Subdomain geschaltet. Die Karte lässt sich nun auf wiesbaden.equalstreetnames.eu bewundern.

Ursprünglich hatte ich mir überlegt, Recherche und Mapping auf mehrere Schultern zu verteilen; aber als ich allein relativ schnell Fortschritte machte, habe ich eben ein paar Feierabende darauf verwendet. Trotzdem möchte ich mich bedanken bei Jonathan, der das EqualStreetNames-Projekt vorantreibt; bei Berenike, die an mainz.equalstreetnames.eu gearbeitet und mir wertvolle Tipps gegeben hat; bei Lukas für die Recherche in WI-Nordenstadt; und natürlich bei Silke und meiner Tochter, für die das ja irgendwie alles gedacht ist!

PS: Das Ergebnis der Auswertung ist wie erwartet ernüchternd. 498 männlichen Namensgebern stehen gerade einmal 47 Frauen gegenüber. Wer das jeweils ist, könnt ihr mit einem Klick auf die jeweilige Straße selbst heraufinden, viel Spaß dabei!

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