Erste Fahrradstraße in Wiesbaden
Vor kurzem wurde in der Wiesbadener Goeben- und Bertramstraße die erste Fahrradstraße1 in der hessischen Landeshauptstadt eingeweiht. Das bedeutet unter anderem, dass dort Fahrräder Vorrang vor Kraftfahrzeugen haben und auch nebeneinander fahren dürfen.
Nachdem Wiesbaden regelmäßig den letzten Platz im Städteranking des ADFC-Fahrradklima-Tests (PDF) belegt, sind solche Maßnahmen längst überfällig. U.a. das Bündnis Verkehrswende Wiesbaden macht mit seinen Fahrradkorsos durch die Innenstadt immer wieder auf die Missstände aufmerksam.
Der Weg vom Westend über Goeben- und Bertramstraße, also über die neue Fahrradstraße, ist mein bevorzugter Weg, um mit dem Fahrrad in die Innenstadt zu gelangen. Daher habe ich mir die neue Fahrradstraße natürlich mal genauer angeschaut.
In der entsprechenden Pressemitteilung wird Verkehrsdezernentin Möricke zitiert: "Die Einrichtung dieser Fahrradstraße im Westend stärkt die Verbindungsachse zwischen dem Platz der deutschen Einheit und dem Elsässer Platz, eine interessante Strecke im Alltagsnetz". Dem kann ich zustimmen, allerdings hat die Stadt hier nach einer low hanging fruit gegriffen: Die beiden Straßen waren bisher sowieso als einzige weit und breit relativ gut mit dem Fahrrad zu befahren; sowohl nördlich als auch südlich existieren quasi keine fahrradfreundlichen Alternativen.
Die FAZ titelt 860 Meter freie Fahrt auf zwei Rädern und verdeutlicht, dass die für 135.000 € eingerichtete Straße nur ein Anfang sein kann. Hans-Martin Kessler von der CDU wird in dem Bericht zitiert, die Straße sei "vorbildlich", weil sie nicht allzu teuer sei und Autofahrer weiterhin berücksichtige. Da wird schon klar, wo die CDU ihre Prioritäten setzt, und dass offenbar Radfahrer im Straßenverkehr eher stören.
Allerdings stellt auch Autor Ewald Hetrodt falsch dar, dass Autofahrer nur noch als Anlieger die genannten Straßen befahren dürften; ich habe keine derartige Beschilderung gesehen, nach wie vor dürfen alle Autos dort fahren.
Auch der Wiesbadener Kurier berichtet Unsinn, und das gleich schon in der Schlagzeile Konflikte beim Abbiegen in der "Fahrradstraße". Denn Autofahrer dürfen nun gar nicht mehr vom Bismarckring "nach rechts in die Bertramstraße einbiegen". Dort wurde nämlich das Verkehrszeichen 209-30 Vorgeschriebene Fahrtrichtung - geradeaus angebracht.
Insgesamt entsteht ein wenig der Eindruck, als würde in den Medien fast schon Stimmung gegen die Fahrradstraße gemacht. Aber das mag meine subjektive Wahrnehmung sein. Und im Übrigen ist auch aus meiner Sicht die Umsetzung der Fahrradstraße nur bedingt gelungen.
Dass große Teile der Bertramstraße momentan eine Baustelle sind, lässt sich noch verschmerzen. Dort werden Rohrleitungen verlegt, das muss vermutlich sein. Aber wenn die Straße dort schon aufgerissen wird, hätte man nicht auch gleich die Bremsschwellen entfernen können? Für Radler sind diese ein ärgerliches Hindernis, und KFZ sollten ja jetzt sowieso noch aufmerksamer unterwegs sein. Noch störender ist allerdings der Bordstein am östlichen Ende der Goebenstraße, der zudem fast immer halb von parkenden Autos versperrt wird (siehe Foto "Fahrradweg Goebenstraße").
Wie wenig durchdacht das Konzept der Fahrradstraße ist, zeigt sich vor allem an den westlichen (Elsässer Platz) und östlichen (Platz der Deutschen Einheit) Enden der Fahrradstraße. Im Westen führt ein einige Meter langes Stück Fahrradweg, neu mit eigens aufgestellten Pfosten abgetrennt, auf den Elsässer Platz, auf einen Mischbelag aus Kopfsteinplaster und Kies und frontal gegen eine Reihe dort geparkter Autos (wenn man es vorher irgendwie geschafft hat, die Gneisenaustraße zu überqueren). Wie zum Hohn sind dort sogar Fahrradwegweiser in mehrere Richtungen angebracht, auch wenn dort kein Weg ernsthaft weiterführt.
Im Osten ist der Platz der Deutschen Einheit immer noch Baustelle. Wenn es bei der bisherigen Situation bleibt, müssen sich dort Fußgänger und Radfahrer einen zwei Meter breiten Streifen teilen, während 80 Prozent des Weges von einer drei(?)stufigen, breiten Treppe versperrt werden. Wenn man mit dem Rad unterwegs ist, jedenfalls. Wer auch immer das geplant hat, saß in seinem Leben garantiert noch nie auf einem Fahrrad (und ist auch nie zu Fuß unterwegs). Aber, wie gesagt, dort wird noch gebaut - vielleicht ändert sich alles noch zum Guten.
Doch selbst das wird nicht helfen, denn die einzige Möglichkeit zur Weiterfahrt besteht in Richtung Osten, in die Friedrichstraße. Wer ein anderes Ziel hat, ist leider verloren. Wer kurz vorher noch über eine der Querstraßen in die Dotzheimer Straße abbiegt, hat dort allenfalls noch die Möglichkeit, geradeaus in die Luisenstraße weiterzufahren. Denn auf die Schwalbacher Straße dürften sich nur die wenigsten Radfahrer trauen, das ist beinahe schon lebensgefährlich.
Von einem durchdachten Konzept kann also keinefalls die Rede sein. Immerhin wurden neue Fahrradstellplätze in der Betramstraße/Ecke Bismarckring aufgestellt. Aber eine Fahrradstraße allein hilft eben nur wenig, insbesondere, wenn sie wie bereits erwähnt, schon vorher nicht das Problem, sondern den einzig fahrbaren Weg darstellte.
Andererseits: Irgendwo muss schließlich angefangen werden, und aller Anfang ist schwer. Daher begrüße ich die Fahrradstraße auch ausdrücklich und hoffe, dass der Ausbau der Fahrradinfrastruktur in Wiesbaden schnell weitergeht. Dass er seine Zeit braucht, ist mir bei aller Ungeduld völlig klar. Ich hoffe, dass die positiven Signale, die es in der Tat gibt, bald auch praktische Auswirkungen haben werden, und dass Wiesbaden im Fahrrad-Ranking langsam aber sicher nach oben klettern kann.
1 Ja, es gab vorher schon eine Fahrradstraße in Kastel, aber das ist ja fast schon Mainz
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