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Thüringen Erfahren Gravel 2022

Am vergangenen langen Wochenende fand zum je nach Zählweise vierten bzw. fünften Mal Thüringen Erfahren statt, eine Rennrad- oder Gravel-Ausfahrt im Selbstversorgermodus. Bikepacking heißt das heutzutage, und so ist Thüringen Erfahren auch eine der offiziellen Ausfahrten des Bikepacking Deutschland e. V..

Der Track von Thüringen Erfahren Gravel 2022 (rot), davon lila und blau die Strecken, die ich gefahren bin
Der Track von Thüringen Erfahren Gravel 2022 (rot), davon lila und blau die Strecken, die ich gefahren bin

Die Gravel-Strecke stand 2022 zum ersten Mal im Programm, und nach ein paar Jahren auf dem Gravelbike und einer wachsenden Bikepacking-Ausrüstung hatte ich sowieso vor, dieses Bikepacking mal auszuprobieren. Thüringen Erfahren-Organisator Frank folge ich schon eine ganze Weile auf Sozialen Netzwerken, und als ich seine Fotos der geplanten Route gesehen hatte, trug ich mir den Termin in den Kalender ein.

Schon beim Beladen meines Bikes bekam ich Platzprobleme, weil ich ein kleines Zelt dabei haben wollte. Also montierte ich flugs einen leichten Gepäckträger ans Rad - Ösen hat es ausreichend - und kramte meine alte Ortlieb-Tasche raus. Diese ist allerdings eher ein kleiner Koffer und hat mir jahreland zum Pendeln gedient, nicht gerade ideal für ein Bikepacking-Abenteuer. Aber auf die Schnelle war kein Ersatz zu beschaffen.

Freitag Nachmittag ging es also mit dem Rad das erste Mal seit über 2 Jahren in den ICE. Erst nach Erfurt, im Anschluss mit einem dank 9-Euro-Ticket sehr gut gefüllten RE weiter nach Jena. Irgendwie seltsam, mit so vielen Leuten so lang in einer fahrenden Röhre zu sitzen.

In Jena endlich raus an die frische Luft, immer an der Saale entlang zum Campingplatz, an dem morgen der Start erfolgen würde. Dort baute ich mein Zelt auf, bekam glücklicherweise noch etwas zu essen und verbrachte eine eher unruhige Nacht neben einer Rentner-Party-Gesellschaft. Zeltwände mindern Schall eher schlecht. Am nächsten Morgen wieder alles ans Rad montieren, kurz zum Bäcker in der Nähe für Kaffee und Brötchen, und danach los zum Start. Dort warten schon Frank und seine Frau mit Getränken und Kuchen sowie zwei weitere Teilnehmer, die die Gravel-Runde unter die Räder nehmen wollen: Fabian und Frank. Bisschen enttäuschend, dass sich zum späten Start um 11 Uhr nur ganze sechs Teilnehmer (und keine Teilnehmerinnen) einfinden, aber egal: Los jetzt!

Die ersten Kilometer fahren wir noch mit dem Straßen-Trio gemeinsam, dann biegen wir auf einen Schotterweg ab. Ich muss erstmal meine Lenkerrolle nachjustieren, weil sie den Schalthebeln im Weg ist. Dann aber rollen wir zu dritt flott über Waldwege und viele kleine Landstraßen, auf denen erstaunlich wenig Verkehr ist. Noch erstaunlicher: Die Autos überholen uns nicht auf Teufel komm raus, sondern warten brav ab, bis sicher ist, dass kein Gegenverkehr kommt. Sowas habe ich zuhause schon länger nicht mehr erlebt, schön!

Der Track führt uns steig leicht bergan, aber ohne ganz steile Rampen. Wir sehen den Nachbau eines historischen Pechofens, unterqueren die A4, passieren viele Fischteiche und kleine Fachwerk-Dörfer. Bei km 50 erreichen wir Neustadt an der Orla mit Feuerwehrhochzeit, im Anschluss ein längerer Anstieg bei Weira, wo ich meine beiden leichter beladenen Mitfahrer zunächst einmal voraus fahren lassen muss. Mein deutliches Zusatzgewicht mit Zelt und Ortliebtasche fordert bergauf Tribut.

Die beiden warten aber am ersten Zwischenziel, dem Café in Ziegenrück an der Saale (fünftkleinste Stadt Deutschlands) auf mich. Dort Kaffee und Kuchen futtern, Wasser auffüllen, mit anderen Rennradlern quatschen. Die hatten immerhin schon von Thüringen Erfahren gehört und wünschten uns noch alles Gute. An der hinter Ziegenrück schon gestauten Saale entlang wird der Track wieder ruppiger, und ich komme nur langsam voran. Aber die Sonne kommt raus , der Blick aufs ruhig dahinfließende Wasser ist toll, und der Duft des Waldes erinnert angenehm an Südfrankreich. So schön kann Graveln sein!

Dann aber doch wieder ein 150m-Anstieg auf der Straße nach Altenbeuthen, nochmal die Jungs getroffen, weil es eine Panne gab, aber schon fahren sie mir wieder davon. Irgendwann oben, willkommen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt, und weiter durch den Wald entland es Hohenwarte-Stausees. Hoch, runter, hoch, runter, immer wieder Wanderern und Radtouristen ausweichend, zwischen Campingwagen und Ferienhäuschen hindurch, bis es schließlich noch 5 km flach bis zur Talsperre geht.

Ziel war aber der Supermarkt in Kaulsdorf, geöffnet bis 20 Uhr, Blick auf die Uhr, das reicht locker. Bei meiner Ankunft fahren Fabian und Frank gerade wieder dort ab, noch ein letzer Gruß, die werde ich auf dieser Tour wohl nicht mehr wiedersehen. Meine Einkäufe bekomme ich bis auf Getränke, Cola und Erdbeermilch gar nicht runter, irgendwie geht Essen gerade nicht. Die Erschöpfung schlägt zu, aber bis zu den Optionen für ein Nachtlager (Zeltplatz, Hütten) sind es laut Roadbook noch ein paar Stunden. In der ersten Verzweiflung rufe ich sogar zwei Pensionen in der Nähe an, aber die sind ausgebucht. Es hilft nichts, ich muss weiter. Und weiter heißt mindestens noch 40 km bis zu einem möglichen Zeltplatz in Orlamünde, vorbei am Großtagebau Kamsdorf und am Bäcker in Könitz, der jetzt natürlich geschlossen schon hat. Aber Essen geht ja eh gerade nicht.

In Lausnitz Leuchten montiert und eingeschaltet, es wird langsam dunkler; vorbei an einer Hochzeitsfeier oder so mit Grill und Bierwagen, jetzt meldet sich doch der Hunger, aber es gibt erstmal nur einen Riegel. Trotzdem muss ich den Anstieg in den Wald teilweise schieben.

Aber dann: 12 km Abfahrt am Stück! Einmal schießen zwei Hofhunde raus und verfolgen mich ein Stück, aber ich war schneller, in jedem Kaff ist scheinbar eine laute Party im Gange, aber ich fliege einfach vorbei. Bei Freienorla nochmal falsch abgebogen, der Garmin hängt sich zum wiederholten Mal auf, aber den Sportplatz in Orlamünde finde ich auch so. Nach knapp 140 km, gut 2.000 hm und mit jetzt großem Hunger fällt die Entscheidung leicht, beim Bootshaus nebenan nach einem Zeltplatz zu fragen. Einige Zelte von Paddlern stehen schon da, und sogar eine fünfköpfige Familie hat ihr Nachtlager aufgeschlagen. Der Empfang ist trotz der späten Uhrzeit herzlich, ich bekomme sogar eine warme Dusche und ein kühles Bier, futtere nun doch meine gesamten Einkäufe weg - und versuche zu schlafen. Meine Rechnung habe ich allerdings ohne die "Volle Bude - Feuer im Gemäuer"-Party in der Kemenate Orlamünde (Typo in der URL so gewollt?) gemacht. Auf zwei Floors ist Party bis 2 Uhr und beschallt das ganze Tal.

Der nächste Morgen, doch noch eingeschlafen, und sogar sehr lange, es gibt noch eine Banane zum Frühstück, anschließend aufs Rad und weiter. Hoch. Und höher. 400 vertikale Meter, davon deutlich zu viele im Schiebemodus. Kein Druck kommt auf die Pedale, und das Knie, das schon im Frühjahr immer wieder Probleme gemacht hat, beginnt zu schmerzen. Oben erstmal Waldautobahn, im Anschluss eine rasende Straßenabfahrt nach Krakendorf(sic!). Dann wieder in den Wald, da sind jetzt die vielen Schutzhütten. Und plötzlich geht der Track links weiter Richtung Stadtilm, aber rechts nach Bad Berka sind es nur 2 km, und ein spätes Frühstück mit Kaffee wären schon geil.

Also hin da, das Alte Brauhaus ist schon voll, aber ein paar Meter weiter gibt's Mittagstisch, Thüringer Rouladen und Thüringer Klöße, herrlich, ein großer Kaffee hinterher. Und im Fresskoma schließlich - die Entscheidung, dass es reicht, dass Weimar nicht weit ist, dass die Beine und vor allem das Knie schmerzen, genug Type II Fun, aus dem Erlebten alles mitnehmen, lernen fürs nächste Mal. Weniger Gepäck, bessere Vorbereitung, mehr Erfahrung. Thüringen Erfahren.

PS: In Weimar war's dann tatsächlich auch noch schön, es gab ein großes Eis neben Goethe und Schiller, eine große Salsiccia-Pizza, eine Dusche und ein weiches Bett. Den Zug nach Erfurt am nächsten Tag habe ich durch eine Radfahrt ersetzt, sogar noch eine Original Thüringer Rostbratwurst gefunden, und sogar einen früheren Zug mit Fahrradstellplatz zurück nach Hause gefunden. Danke an Frank fürs Organisieren und Scouten, Fabian ebenfalls fürs Scount und fürs Ziehen gemeinsam mit dem anderen Frank! Nächstes Jahr sind bestimmt wieder mehr Bikepacker*innen am Start, und hoffentlich auch ich mit mehr Erfahrung.

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