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Ingress

Ingress-LogoSchwefelgeruch und eine meterhohe Dampfwolke hängen über der heißen Quelle des Wiesbadener Kochbrunnens, aus dem leise plätschernd ein Wasser sprudelt, dem heilende Kräfte zugeschrieben werden. Ein paar Touristen trauen sich, einen Schluck des Kochbrunnenwassers zu trinken. Der ganze Platz ist in unwirklich leuchtendes Blau getaucht, gleißende Funken steigen in den Himmel hinauf, die Luft scheint elektrisch geladen. Über dem Brunnen spannt sich ein riesiges Portal auf, um das im Abstand von einigen Metern merkwürdige Maschinen platziert sind, die unsichtbar mit dem Mittelpunkt verbunden zu sein scheinen. Ich stellte mich so dicht wie möglich neben eins dieser Resonatoren genannten Geräte - und drücke „Feuer”.

Eine Art elektromagnetische Pulswelle rollt mächtig über die Resonatoren weg, entreißt ihnen einen Teil ihrer Energie und ebbt dann langsam ab. Gleichzeitig spüre ich ein Zittern, das ähnlich einem leichten Stromschlag über die Finger in meinen Körper kriecht. Das Portal ist mit Energieschilden geschützt, die einen Teil der abgefeuerten Pulsenergie auf mich zurückgeworfen haben. Da meine internen Energiespeicher voll aufgeladen sind, macht mir das fast nichts aus. Ich feuere weitere Pulswellen (XMPs) aus unterschiedlichen Richtungen ab, bis die blauen Resonatoren nach und nach den Geist aufgeben. Nachdem ich auf diese Weise alle acht Resonatoren deaktiviert habe, erlischt das blaue Leuchten, und der Weg zur Übernahme des Portals ist frei.

Ich hacke mich mit meinem Smartphone in das nun aschgraue Portal ein und platziere meinerseits einige Resonatoren, die ich mit meiner Ausrüstung herumtrage. Sofort beginnt das Portal grün zu strahlen. Ein weiterer Sieg der Enlightened-Fraktion im Kampf gegen die Resistance, die jeglichen Kontakt mit den Außerirdischen, den Shapers verhindern will. Dabei sollte das extraterrestrische Wissen doch der ganzen Erdbevölkerung zugute kommen, weil wir alle viel von diesen weit entwickelten Geschöpfen lernen können. Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg.

Fiktion oder Realität?

Was sich anhört, wie eine Szene aus einem Science-Fiction-Roman, ist bereits Realität, wenn auch eine alternative Realität, die bisher nur auf Android-Smartphones und im Internet existiert. Sie ist Teil des neuen Multiplayer-Spiels Ingress, das die Niantic Labs bei Google entwickelt haben. Noch befindet sich Ingress in einer geschlossenen Beta-Phase, und nur wenige konnten bereits einen Teilnahmecode ergattern. Doch die Zahl wächst, und so lassen sich an immer mehr Orten überall auf der Welt immer häufiger Menschen beobachten, die einfach stehen bleiben und Aktionen wie die oben beschriebene ausführen - allerdings nur virtuell, nur auf dem Touchscreen ihres Smartphones.

So hört es sich an, wenn ich die Ingress-App auf meinem Smartphone starte. Das Programm ermittelt meine Position und zeigt den entsprechenden Kartenausschnitt an. Meine Energiereserven belaufen sich zu diesem Zeitpunkt auf 50 %.

Die Hintergrundgeschichte des Spiels besagt, das die Menschheit über Portale Kontakt zu den Shapers aufnehmen kann, sich jedoch nicht einigen kann, ob dieser Kontakt verhindert oder beschleunigt werden soll. Daher haben sich zwei entsprechende Fraktionen herausgebildet, die unbemerkt von der großen Öffentlichkeit agieren. Die Resistance (blau), die jeglichen Kontakt verhindern möchte, und die Enlightened (grün), die sich viel Gutes vom Austausch mit den Aliens verspricht. Spielende sind Agenten dieser Fraktionen und erhalten über ihr Smartphone Anweisungen, können darüber untereinander kommunizieren und sehen ihre Spielewelt auf einer Art angepassten Version von Google Maps.

Beide versuchen, Portale zu erobern, diese Portale durch Links miteinander zu verbinden und auf diese Weise dreieckige Flächen (Fields) zu erstellen, die auf der Karte als eine Art eingefärbter Nebel dargestellt werden. Die Bevölkerung, die sich nichtsahnend in diesen Feldern aufhält, ist vor außerirdischer Gedankenbeeinflussung geschützt - oder ihr zugänglich, je nachdem, welche Fraktion das Feld kontrolliert. Weltweit werden die Einwohnerzahlen der Felder (Mind Units, MU) aufaddiert, um feststellen zu können, welche Fraktion aktuell in Führung liegt. In Echtzeit.

Denn die Zeit in Ingress läuft immer weiter, jederzeit können irgendwo neue Portale auftauchen, gehackt, erobert, verlinkt werden. Immer wieder tauchen neue Gegenstände im Spiel auf. Resonatoren, Xmp Burster (die „Waffen”, mit denen Portale erobert werden können), zum Verlinken benötigte Portalschlüssel oder mysteriöse Dokumente können gesammelt und für unterschiedliche Aktionen wieder eingesetzt werden. Die Spielenden müssen immer auch ein Auge auf ihre Energiespeicher haben, die sie durch Herumlaufen oder -fahren aufladen können. Aus ihren Speichern müssen sie Portale regelmäßig mit Energie versorgen, ansonsten können sich diese nach ein paar Tagen nicht mehr selbst erhalten.

Multiplayer, Echtzeit und Soziale Netze

Trotz der auf den ersten Blick simplen Regeln müssen die Spielenden in einer komplexe, sich fortwährend ändernden Welt agieren. Und sie müssen auf Änderungen in dieser Welt reagieren. Zunehmend setzen die Mitglieder einer Fraktion dabei auf Vernetzung und Kommunikation. In die Android-App ist ein COMM genannter Chat integriert, über den schnell Absprachen getroffen werden können. Allerdings unterliegt COMM einigen Einschränkungen, die einer einfachen Kommunikation entgegenstehen. So ist der Chat stark lokal begrenzt, und direkte Nachrichten an andere Personen sind nicht möglich. Überhaupt zeigt die Karte nur einen Ausschnitt der nächsten paar Straßenzüge an.

Ingress Intel Map
Wiesbaden heute Nachmittag: Ein Großteil der Innenstadt ist grün, nur ein paar kleine blaue Portale wurden heute Vormittag errichtet. Global aber führt die Resistance mit deutlichem Vorsprung vor den Enlightened.

Einen größeren Überblick bietet die Intel-Map im Browser, deren Zoomstufe sich wie von Google Maps gewohnt bis auf die ganze Welt ausdehnen lässt. Anhand dieser Übersichtskarte ist eine strategische Planung möglich, und auch hier wird der COMM-Chat eingeblendet. Sinnvoller für Absprachen sind aber die zahlreichen Communities, die mittlerweile auf Google+ erstellt wurden. Dort tauschen sich Spielende aus, meist regional und auf eine Fraktion beschränkt. Sie stellen sich einander vor, diskutieren Strategien, oder weisen auf Neuerungen hin.

Denn bisweilen ändern sich sogar die Regeln des Spiels. Niantic Labs justiert in der Beta-Phase von Zeit zu Zeit bestimmte Parameter nach. Seit der letzten größeren Anpassung ist es beispielsweise schwieriger geworden, an Portalschlüssel zu gelangen, die zum Erstellen von Links notwendig sind. Offenbar ließen sich nach Ansicht der Spieleentwickler Links und Felder zu einfach erstellen. Die Auswirkungen solcher, auch kleinster Änderungen an der Spielmechanik lassen sich interessanterweise live beobachten, auch wenn sie nur langsam eintreten. Spielende scheinen mittlerweile größere Strecken zurückzulegen, um auch weiter entfernte Portale zu erreichen, und sie scheinen Portalschlüssel viel zögerlicher einzusetzen. Dadurch entstehen merklich weniger Links und Felder.

Und auch der rasche Aufstieg in höhere Level scheint gebremst worden zu sein. Denn für jede erfolgreiche Aktion, also das Hacken eines Portals oder das Erzeugen eines Felds, erhalten Spielende Punkte (AP). Haben sie ein festgelegte Punktzahl erreicht, steigen sie ins nächste Level auf. Sie können dann mächtigere Resonatoren einsetzen und auch stärkere Waffen gegen diese anwenden, ganz ähnlich wie bei vielen Computergames und traditionellen Tabletop-Rollenspielen. Ingress-Spielende der Level 7 und 8 sind noch relativ selten, im Rhein-Main-Gebiet etwa gibt es maximal eine Handvoll dieser Erfahrungsstufe.

Die Resistance führte im zeitlichen Verlauf der letzten Tage immer vor den Enlightened
Zum Zeitpunkt des Screenshots hatte die Resistance ihren Vorsprung der letzten Tage auf über 6,5 Mio. Mind Units ausgebaut. In der Nacht von Samstag auf Sonntag scheint die Anzahl der MUs der Resistance vom System um einige Millionen reduziert worden zu sein.

Während also einerseits das generelle Spielziel verfolgt wird, die Summe der Mind Units zu erhöhen, achten viele genauso darauf, möglichst schnelle viele Punkte für den persönlichen Aufstieg zu sammeln. Nicht alle fahren dafür ganze Nächte mit dem Auto und diversen Devices an Ladegeräten durch die Region und sammeln auf, was sie nur finden können. Aber Mobilität ist momentan ein sehr zentraler Bestandteil des Spiels.

We want YOU for Ingress

Auf der Ingress-Webseite lassen sich Einladung beantragen, deren Bearbeitung kann allerdings mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Also tragt euch am besten sofort ein, wenn ihr Ende Januar dabei sein wollt. Oliver Gassner hat einen Tipp, wie es möglicherweise auch schneller geht. Die Android-App ist zum Spielen zwingend notwendig, ihr solltet also ein Android-Gerät besitzen. Wer mehr über das Spiel und bestimmte Spielsituationen erfahren möchte, wer Anleitungen und Tipps und Tricks sucht, oder wer sich mit anderen Spielenden austauschen möchte, findet im Internet mittlerweile jede Menge Anlaufstellen. Einige der möglicherweise wichtigeren möchte ich hier kurz auflisten:

  • Ingress Support: Bislang hat Google die wichtigsten Spielregeln, Definitionen und einen Glossar nur auf englisch veröffentlicht, dafür aber zum Teil sehr ausführlich.
  • YouTube: Klar, auf Googles Videoplattform finden sich schon unzählige Videos zum Thema Ingress.
  • IngressWiki: Die Inhalte in diesem Wiki sind auf englisch und noch deutlich ausbaufähig, aber die grundlegenden Informationen sind bereits vorhanden.
  • Ingress Guide: Die wichtigsten Informationen zu Portalen und zum „Hoch-Leveln”

Wenn ihr Fragen, Anmerkungen, Klarstellungen habt, schreibt diese bitte in die Kommentare. Ich werde versuchen, alles zu beantworten, so gut ich kann. Und in Kürze schreibe ich noch ein Follow-Up über meine bisherigen, subjektiven Eindrücke und Erfahrungen aus 3,5 Wochen Ingress.

Trackbacks

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Was Sie schon immer über #Ingress wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten: http://t.co/4jLvynA5

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Ingress erklärt im Sperrobjekt Weblog http://t.co/MSNRo0bL

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Dirks Logbuch am : Linkdump Kalenderwoche 02/2013 ...

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Hier ist der neue Linkdump. Viel Spass! Dem kann ich nur zustimmen: "Die Fähigkeit, die Flut an Informationen für sich sinnvoll zu filtern und im Kontext anwenden zu können, ist eine der wichtigsten (sozialen) Kompetenzen der Zukunft." - via Social Media

GrischoSchluesi am : GrischoSchluesi via Twitter

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Das ist #Ingress: http://t.co/dpCBo0Hy - #gutzusammengefasst

Kommentare

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Bernd am :

Auf Twitter lesen: bauigel
Bernd

Vielen Dank für den sehr ausführlichen Artikel. Jetzt weiß ich endlich mal um was es geht und was man sich darunter in etwa vorstellen muss :-)

Da die Sache aber ja wohl auf absehbare Zeit auf Android beschränkt ist, bin ich raus mit meinem iPhone ;-)

...geh ich halt weiter geocachen :-D

Mal blöd gefragt: Hat das Spiel als Hintergrund, Bewegungsdaten und Bilder für Maps/StreetView zu sammeln? Kommt mir fast ein wenig so vor, immerhin kann man ja beim "befeuern" der Portale auch gleich Bilder der Objekte machen und auf den Server laden. Aufgrund der verschiedenen Blickrichtungen kann man daraus wohl relativ leicht auch gleich 3d-Objekte bauen.

Bernd schrieb auch: Frankentest

Matthias Gutjahr am :

Matthias Gutjahr

Es gibt viele Diskussionen und Spekulationen darüber, was Google mit den so gewonnen Daten vorhat. Es gibt dazu beinahe so viele Theorien wie Mitspielende ;-) Deine Vermutung mit den Bildern halte ich von daher eher unwahrscheinlich, weil ein Foto nur zum Erstellen eines neuen Portals nötig ist; existierende Portale werden eher nicht mehr fotografiert.

Vielleicht will Google erreichen, dass Smartphones über längere Zeit angeschaltet bleiben und so durchgehend bessere Positionsdaten liefern. Vielleicht will Google auf längere Sicht irgendwas mit lokalen Geschäften machen. Vielleicht wollen sie menschliches Verhalten in Spielsituationen erforschen oder einfach im MMORPG-Markt mitmischen. Wahrscheinlich sammeln sie erst einmal viele, viele Daten und lassen dann ihre Big Data-Tools darauf los.

Ich habe jedenfalls noch keine konkreten Aussagen zu den "wirklichen" Zielen von Ingress gelesen. Würde mich selbstverständlich aber auch sehr interessieren.

Andre am :

Andre

Eine deutsche Spielbescheibung "How not to suck at Ingress" von Kristian Köhntopp gibt es hier : http://bit.ly/Vgpx3v

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