Proteste im Sudan: #jan30
Während im einen Browser-Tab der englischsprachige Livestream von Al Jazeera zeigt, dass die bisher friedlichen Proteste in Ägypten langsam in Randale umkippen (vermutlich von Mubaraks Sicherheitsleuten provoziert), tickert im anderen Tab die Twitter-Suche nach #jan30 die aktuellen Meldungen aus dem Sudan runter.
Die Proteste vom 30. Januar
Khartum und Omdurman sind die politischen bzw. wirtschaftlichen Zentren des Sudan. Dort fanden am 30. Januar 2011 die größten Protestkundgebungen statt, die allerdings vergleichsweise zügig wieder aufgelöst wurden. Dabei wurden viele Demonstranten verhaftet. Es gibt auch Berichte von einem oder zwei Toten. Auf einer eigens eingerichteten Crowdmap, auf der Ereignisse per SMS oder Internet gemeldet werden können, ist anschaulich zu sehen, wo sich die Proteste ereigneten:
Nun sind Proteste in Khartum, wie auch in vielen anderen Hauptstädten der Welt nichts außergewöhnliches, und das Land hat eine sehr leidvolle Geschichte von fünf Jahrzehnten Bürgerkrieg (1955-2005, mit Unterbrechungen), so dass viele Beobachter gelassen reagieren. Aber im Lichte der momentanen Dynamik der Proteste in der arabischen Welt sind die aktuellen Demonstrationen möglicherweise anders zu bewerten.
Auch im Sudan spielte das Internet, insbesondere Webdienste wie Twitter und Facebook eine besondere Rolle. Facebook erlaubt den Sudanesen mittlerweile auch den Zugriff via HTTPS. Vor allem Studenten organisierten sich auf diese Weise und gingen gegen das autoritäre Regime auf die Straße. Es gibt aber auch Berichte darüber, dass regierungstreue Studenten sich den Demonstranten entgegenstellten. Die Lage ist unübersichtlich, die meisten Medien wie Al Jazeera berichten momentan verständlicherweise rund um die Uhr aus Kairo.
Im Sudan hingegen unterliegen die Medien einer strikten Zensur. Bei den Protesten seien sechs Journalisten festgenommen, zwei Zeitungen konfisziert und viele Internetseiten gesperrt worden, so Reporter ohne Grenzen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit liegt der Sudan auf Platz 172 von 178 Ländern.
Wie geht es weiter?
Die Nationale Kongresspartei (NPC) von Präsident al-Baschir ist die mächtige politische Kraft im Sudan. Die Oppositonsparteien seien sklerotisch, schreibt Andrea Böhm in der Zeit, und beschreibt damit ein essentielles Problem eines Landes, das im letzten Jahr die ersten demokratischen Wahlen seit Jahrzehnten erlebt hat. Ähnlich wie in Ägypten gibt es also nicht die eine treibende Kraft, die die Proteste koordinieren könnte oder mit einer Stimme spräche. Unter der Oberfläche schwelen außerdem noch die Überreste der nur notdürftig gelösten Konflikte im Süd-Sudan und in Darfur.
Die nächste Protestwelle ist für morgen geplant. Auf den Crowdmap-Seiten werden dann auch wieder aktuelle Augenzeugenberichte veröffentlicht werden. Und Twitter dürfte wieder einmal der Kanal mit den schnellsten News sein. Ob und wie andere Medien berichten können und wollen, wo alle Aufmerksamkeit sich zurzeit auf Ägypten richtet, bleibt abzuwarten. Viel hängt sicher davon ab, wie viele Menschen sich im Sudan an den Protesten beteiligen und ob die Demonstrationen friedlich verlaufen.
Hintergrundinformation: Die Sezession des Südens
Was im Sudan, genauer wohl im Nord-Sudan, stattfindet, ist um Größenordnungen kleiner als in Ägypten oder Tunesien. Aber die Situation war dort schon vor den Protesten viel fragiler. Denn die Einwohner des Süd-Sudan haben, wie erwartet, mit über 99 % für eine Abspaltung vom Nord-Sudan und für die Gründung eines souveränen Staates gestimmt. Werfen wir kurz einen Blick auf die Folgen davon, um die aktuelle Situation besser einordnen zu können:
- noch sind einzelne Abschnitte der neu zu ziehenden Grenze umstritten; auf beiden Seiten: militärisches Säbelrasseln;
- Hauptgrund dafür dürften Ölreserven sein, die in diesem Gebiet liegen;
- innerhalb weniger Tage sind (im Norden) die Preise für Lebensmittel um ein Drittel angestiegen;
- die Situation für Südsudanesen, die sich noch im Norden aufhalten, wird auch deshalb immer bedrohlicher;
- die Position des per internationalem Haftbefehl gesuchten Präsidenten al-Baschir ist durch all dies geschwächt;
- aber nicht so sehr, dass er nicht durch Repressionen seine Lage zu verbessern versuchen würde;
- was wiederum gerade der jüngeren Bevölkerung nicht gefallen dürfte.
Dies nur als zusätzlicher, jedoch in seiner Kürze nur bruchstückhafter Hintergrund-Exkurs zur aktuellen Lage und als Zusatzinformation.
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